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Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 29.02.2024 (Az. 8 AZR 187/23) zur Gefahr des institutionellen Rechtsmissbrauchs bei Kettenbefristungen öffentlicher Arbeitgeber entschieden. Danach dürfen öffentliche Arbeitgeber das Risiko der Befristungskontrollklage bei einer Stellenbesetzung miteinbeziehen, indem sie nur Bewerber in die Auswahl für eine befristet zu besetzende Stelle einbeziehen, bei denen nicht die naheliegende Möglichkeit besteht, dass eine weitere Sachgrundbefristung des Arbeitsverhältnisses die Voraussetzungen eines institutionellen Rechtsmissbrauchs erfüllt.

1. SACHVERHALT

Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, die von ihm an der J-Universität W (im Folgenden Universität) ausgeschriebene Stelle einer technischen Assistenz am Institut für Pathologie mit dem Kläger zu besetzen.

Der schwerbehinderte Kläger war zunächst vom 19. April 2010 bis zum 31. März 2016 auf der Grundlage von insgesamt sieben befristeten Arbeitsverträgen bei dem Universitätsklinikum W (im Folgenden Universitätsklinikum) beschäftigt. Er ist seit dem 1. April 2016 aufgrund eines zunächst bis zum 30. Juni 2019 befristeten Arbeitsvertrags mit dem Beklagten bei der Universität beschäftigt. Die Parteien haben mit Änderungsvertrag vom 12. Juni 2019 das Arbeitsverhältnis bei der Universität bis zum 30. Juni 2023 befristet verlängert. Über die Wirksamkeit dieser letzten Befristung des Arbeitsverhältnisses streiten die Parteien in einem gesonderten Verfahren.

Der Beklagte schrieb im Januar 2022 eine Stelle für einen technischen Assistenten am Institut für Pathologie an der Universität für interne und externe Bewerber aus. Die Stelle war der Ausschreibung zufolge für zwei Jahre befristet mit der Option auf eine Vertragsverlängerung. Der Kläger bewarb sich auf diese Stelle und der Leiter des Pathologischen Instituts beantragte die Umsetzung des Klägers bei der Personalabteilung. Die Personalabteilung lehnte den Antrag auf Umsetzung des Klägers ab. Hierbei führte sie zur Begründung aus, dass aufgrund der Vorbeschäftigungszeiten ein weiteres befristetes Arbeitsverhältnis an der Universität nicht mehr zumutbar sei.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, sein Anspruch auf die begehrte Stelle folge aus Art. 33 Abs. 2 GG, da er der am besten geeignete Bewerber sei. Dem Beklagten sei es verwehrt, sich auf die lange Dauer der bereits erfolgten Befristungen zu berufen. Er könne nicht mit Erfolg geltend machen, das Arbeitsverhältnis mit ihm könne möglicherweise nicht mehr wirksam befristet werden, weil eine solche Kettenbefristung wegen institutionellen Rechtsmissbrauchs unwirksam sein könne. Die Rechtsprechung zum institutionellen Rechtsmissbrauch diene dazu, Kettenbefristungen zum Schutz der betroffenen Arbeitnehmer einzuschränken. Der Umstand, dass eine weitere Befristung möglicherweise wegen Rechtsmissbrauchs unwirksam sei, könne ihm nicht entgegengehalten werden, sodass die begehrte Stelle ihm unter Verletzung von Art. 33 Abs. 2 GG nicht übertragen werde.

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab, die darauf gerichtet war, den Beklagten zu verurteilen, die Stelle als „technische Assistenz“ am Institut für Pathologie mit dem Kläger zu besetzen. Das Landesarbeitsgericht Nürnberg wies die Berufung des Klägers zurück. Die Revision des Klägers hatte vor dem Bundesarbeitsgericht ebenfalls keinen Erfolg.

2. ENTSCHEIDUNG

Nach Ansicht des BAG folge kein Anspruch auf Übertragung der begehrten Stelle aus Art. 33 Abs. 2 GG. Es könne dahinstehen, ob der Kläger der am besten für die Stelle einer technischen Assistenz am Institut für Pathologie geeignete Bewerber sei. Dem BAG zufolge habe der Beklagte sich im Rahmen seiner Organisationsfreiheit dazu entschließen dürfen, die zu besetzende Stelle nur befristet auszuschreiben und im Rahmen dieser Organisationsentscheidung auch den Kläger von der Auswahl für die ausgeschriebene Stelle auszunehmen. Der Beklagte sei nicht verpflichtet, mit dem Kläger ein weiteres befristetes Arbeitsverhältnis abzuschließen, weil die naheliegende Möglichkeit bestehe, dass die Befristung wegen institutionellen Rechtsmissbrauchs unwirksam wäre.

Die Entscheidung, die ausgeschriebene Stelle nur befristet zu besetzen, und Bewerber vom Auswahlverfahren auszunehmen, mit denen eine weitere Befristung die Gefahr eines institutionellen Rechtsmissbrauchs begründe, sei Teil der dem Auswahlverfahren nach Art. 33 Abs. 2 GG vorgelagerten Organisationsentscheidung und auch vom weiten Organisationsermessen umfasst.

Nach Auffassung des BAG müssten öffentliche Arbeitgeber im Fall einer Sachgrundbefristung kein zusätzliches Risiko eingehen, das über die nach § 14 Abs. 1 TzBfG typische Unsicherheit hinausgehe, ob sich der Sachgrund im Rahmen einer Befristungskontrollklage als gegeben erweise. Bei einer Sachgrundbefristung sei der öffentliche Arbeitgeber nicht verpflichtet, sein Organisationsermessen in einer Weise auszuüben, die ihn dem Vorwurf des institutionellen Rechtsmissbrauchs aussetze. Der Personenkreis, bei dem die naheliegende Möglichkeit des Rechtsmissbrauchs bestehe, ist nach der Gesamtdauer der befristeten Arbeitsverträge bzw. der Anzahl der Verlängerungen eindeutig abgrenzbar. Wären öffentliche Arbeitgeber verpflichtet, Bewerber aus diesem Kreis in die Auswahl für eine befristete Stelle einzubeziehen, müssten sie sich dem klar erkennbaren Risiko aussetzen, institutionell rechtsmissbräuchlich zu handeln, mit der Folge, dass die eigentlich wirksame Sachgrundbefristung unwirksam wäre.

3. FAZIT 

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist spannend. Sie betrifft den Spezialfall des Art. 33 Abs. 2 GGbei öffentlichen Arbeitgebern. Es ist zu begrüßen, dass das BAG klarstellt, dass Bewerber, bei denen aufgrund von früheren Verträgen eine unzulässige Kettenbefristung droht, vom Bewerbungsverfahren ausgeschlossen werden können. Öffentliche Arbeitgeber werden dadurch nicht gezwungen, sehenden Auges rechtswidrig zu handeln.

Bundesarbeitsgericht zur Gefahr des institutionellen Rechtsmissbrauchs bei Kettenbefristungen