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LAG Düsseldorf zur Sozialauswahl bei etappenweiser Betriebsstilllegung

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat mit Urteil vom 09.01.2024 (Az: 3 Sa 529/23) zur Sozialauswahl bei etappenweiser Betriebsstilllegung entschieden. Danach hat der Arbeitgeber bei einer etappenweisen Betriebsstillegung keine freie Auswahl, wem er früher oder später kündigt. Es sind grundsätzlich die sozial schutzwürdigsten Arbeitnehmer mit den Abwicklungsarbeiten zu beschäftigen.

1. SACHVERHALT

Der klagende Arbeitnehmer war seit 2012 bei der Beklagten, einem in der Produktion und dem Vertrieb von Aluminiumgussteilen tätigen Unternehmen, beschäftigt. Zuletzt beschäftigte die Beklagte in ihrem einzigen Betrieb knapp 600 Arbeitnehmer. Am 01. März 2022 wurde über das Vermögen der Beklagten das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet. Der Sachwalter und der Gläubigerausschuss stimmten der Einstellung der Geschäftstätigkeit zum 31. Dezember 2022 zu.

Nachdem die Verhandlungen zum Abschluss eines Interessenausgleichs am 24. November 2022 durch Spruch der Einigungsstelle für gescheitert erklärt wurden, stellte die Beklagte am 28. November 2022 Anträge auf behördliche Zustimmungen zur betriebsbedingten Kündigung nach dem SGB IX (schwerbehinderte Menschen) und BEEG (Elternzeit). Den Beschäftigten wurde die Gelegenheit eingeräumt, in eine Transfergesellschaft zu wechseln. Die Beklagte sprach im Dezember 2022 gegenüber allen Beschäftigten betriebsbedingte Beendigungskündigungen aus, soweit das Ende des Arbeitsverhältnisses nicht aus anderen Gründen feststand.

Ab dem 01. Januar 2023 wurden alle Mitarbeiter unwiderruflich freigestellt. Hiervon waren jedoch die Beschäftigten des Abwicklungsteams, welches 53 Arbeitnehmer umfasste und dem der Kläger angehörte, ausgenommen. Gegenüber 13 Personen sprach die Beklagte Kündigungen zum 31. März 2023 und gegenüber den übrigen 40 Personen Kündigungen zum 30. Juni 2023 aus. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 16. Dezember 2022 zum 31. März 2023. Gegen diese Kündigung zog der Kläger vor Gericht.

Das Arbeitsgericht Solingen gab der Kündigungsschutzklage statt. Die Berufung der Beklagten hatte vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf keinen Erfolg. Die Revision zum BAG wurde nicht zugelassen.

2. ENTSCHEIDUNG

Nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts könne sich der Kläger zwar nicht auf die Unwirksamkeit der Kündigung wegen einer nicht ordnungsgemäßen Massenentlassungszeige gem. § 17 KSchG i.V.m. § 134 BGB berufen. Etwaige Fehler in diesem Zusammenhang stellten keinen Unwirksamkeitsgrund dar, weil Zweck der Anzeige nicht der Individualschutz der Arbeitnehmer sei. 

Die Kündigung war dem LAG zufolge aber aufgrund einer nicht ordnungsgemäßen Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) rechtsunwirksam. Der Arbeitgeber habe bei einer etappenweisen Betriebsstilllegung keine freie Auswahl, wem er früher oder später kündige. Es seien grundsätzlich die sozial schutzwürdigsten Arbeitnehmer mit den Abwicklungsarbeiten zu beschäftigen. Vorliegend habe die Beklagte nach Ansicht des LAG die Sozialauswahl methodisch fehlerhaft durchgeführt, weil sie die Vergleichsgruppen fehlerhaft gebildet habe. 

Diese hätten nicht anhand der ursprünglich ausgeübten Tätigkeiten gebildet werden dürfen, sondern anhand der noch im Abwicklungsteam anfallenden Tätigkeiten vorgenommen werden müssen, zu denen die Beklagte nur unvollständig vorgetragen habe. Die Beklagte habe außerdem nicht dazu vorgetragen, welche Aufgaben mit welcher Dauer im Abwicklungsteam anfielen, welche Anforderungsprofile dafür erforderlich waren und wie auf dieser Grundlage ein Vergleich vorgenommen werden sollte. Die daraus folgende Vermutung der fehlerhaften Sozialauswahl habe die Beklagte nicht widerlegt.

3. FAZIT 

Die Entscheidung des LAG Düsseldorf verdeutlicht die Relevanz einer korrekt durchgeführten Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen. Arbeitgebern ist daher zu raten, bei betriebsbedingten Kündigungen, auch im Rahmen etappenweiser Betriebsschließungen, eine sorgfältige Sozialauswahl durchzuführen und zu dokumentieren, um Rechtsstreitigkeiten vorzubeugen bzw. im Falle von Kündigungsschutzklagen eine fehlerfreie Sozialauswahl nachweisen zu können.

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