Mit Spannung wurde diese Entscheidung erwartet, nachdem das Arbeitsgericht Emden mit zwei Entscheidungen das bisherige Verständnis von der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess „durcheinandergebracht“ hatte. Das Bundesarbeitsgericht hat nun mit Urteil vom 04.05.2022 (Az. 5 AZR 359/21) den alten Zustand wiederhergestellt. Das Urteil lässt viele Unternehmen aufatmen.
1. DER SACHVERHALT
Der klagende Arbeitnehmer war bei einem Einzelhandelsunternehmen als Auslieferungsfahrer beschäftigt. Der Arbeitnehmer erfasste den Beginn und das Ende seiner Arbeitszeit mit einem technischen Erfassungsgerät. Die Pausenzeiten wurden nicht erfasst. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses hatte der Arbeitnehmer ein positives Arbeitszeitguthaben von knapp 350 Stunden. Der klagende Arbeitnehmer begehrte vom Unternehmen die Bezahlung dieser Überstunden. Er behauptete, dass er keine Pausen habe machen können. Er habe immer durchgearbeitet. Das Unternehmen bestritt diese Behauptung.
Das Arbeitsgericht Emden hatte der Klage stattgegeben (Az. 2 Ca 399/18). Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat das Urteil abgeändert und die Klage – mit Ausnahme bereits abgerechneter Überstunden – abgewiesen (Az. 5 Sa 1292/20).
2. DIE ENTSCHEIDUNG
Die gegen das Urteil gerichtete Revision des Arbeitnehmers vor dem Bundesarbeitsgericht hatte keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht habe die Klage zurecht abgewiesen. Von dem Erfordernis der Darlegung der arbeitgeberseitigen Veranlassung und Zurechnung von Überstunden sei auch nicht aufgrund der Rechtsprechung des EuGH abzurücken (Urteil v. 14.05.2019, Az: C-55/18). Diese sei zur Auslegung und Anwendung der Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) und von Art. 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ergangen. Die darin entwickelten Grundsätze haben keine Auswirkung auf die Grundsätze zur Vergütung von Arbeitnehmern. Sie habe auch keine Auswirkungen auf die im deutschen Prozessrecht entwickelten Grundsätze. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess.
Das Landesarbeitsgericht habe daher zutreffend angenommen, dass der Arbeitnehmer darlegungsfällig geblieben ist. Er habe nicht hinreichend darlegen können, dass das Durcharbeiten der Pausen stets erforderlich gewesen wäre. Die bloße diesbezügliche Behauptung reiche nicht aus.
3. FAZIT
Das Urteil liegt auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Danach muss der Arbeitnehmer darlegen und ggf. beweisen, wann er Überstunden geleistet und was er dabei gearbeitet hat. Außerdem muss er darlegen, dass die Mehrarbeit angeordnet oder vom Arbeitgeber gebilligt wurde. Unternehmen, die keine Zeiterfassung einführen, trifft insoweit auch keine geänderte Beweislast.
Das Urteil wird bei vielen Unternehmen für Erleichterung sorgen. Auch wenn bereits das LAG Niedersachsen die Klage weitgehend abgewiesen hatte, war bis zuletzt die Verunsicherung groß.