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Bundesarbeitsgericht zur Entschädigungszahlung nach dem AGG durch Benachteiligung wegen Behinderung bei Kündigung

Das Bundesarbeitsgericht hat mit einem Urteil vom 02.06.2022 (Az: 8 AZR 191/21) entschieden, dass der Verstoß des Arbeitgebers gegen Verfahrens- oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Arbeitnehmer eine widerlegbare Vermutung nach § 22 AGG begründen kann.

1. SACHVERHALT

Der klagende Arbeitnehmer verlangt von dem beklagten Unternehmen eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Er war bei der Beklagten als Hausmeister beschäftigt. Der Kläger war über einen längeren Zeitraum arbeitsunfähig erkrankt. Zuletzt lag er nach einem Schlaganfall mit halbseitiger Lähmung auf der Intensivstation. Das beklagte Unternehmen kündigte dem Arbeitnehmer aus betriebsbedingten Gründen. Dagegen erhob der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage. Eine vorherige Zustimmung des Integrationsamts holte der Arbeitgeber nicht ein. Die Parteien schlossen vor dem Arbeitsgericht einen Beendigungsvergleich, der auch eine Abfindungszahlung vorsah.

Seine Entschädigungsklage begründete der Arbeitnehmer wie folgt: Das Unternehmen habe bei Ausspruch der Kündigung gegen Verfahrens- und Förderpflichten zugunsten von schwerbehinderten Menschen verstoßen. Dadurch sei er wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt. Das Unternehmen habe vor Ausspruch der Kündigung insbesondere nicht die Zustimmung des Integrationsamts eingeholt. Zwar sei eine Schwerbehinderung zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung noch nicht behördlich festgestellt und auch nicht beantragt gewesen. Allerdings sei seine Schwerbehinderung offenkundig gewesen.

Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht haben die Klage jeweils abgewiesen. Das Bundesarbeitsgericht hat Revision des Klägers zurückgewiesen.

2. ENTSCHEIDUNG

Der Kläger habe gegen das Unternehmen keinen Entschädigungsanspruch aus § 15 Abs. 2 AGG. Der schwerbehinderte Arbeitnehmer habe nicht dargelegt, dass seine Benachteiligung (hier: Kündigung) wegen seiner (Schwer-)behinderung erfolgte. Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen § 168 SGB IX kann im Einzelfall eine widerlegbare Vermutung i.S.d. § 22 AGGbegründen, dass die (Schwer-)behinderung mitursächlich für die Benachteiligung war. Der klagende Arbeitnehmer habe aber eine solche Benachteiligung nicht schlüssig dargelegt. Es hätten entgegen der Ansicht des Klägers keine offenkundigen Umstände vorgelegen, die auf eine (Schwer-)behinderung des Klägers hätten schließen lassen.

3. FAZIT UND HANDLUNGSEMPFEHLUNG

Die Entscheidung zeigt erneut. Unternehmen sollten die entsprechenden Vorschriften des SGB IX ernst nehmen. Der hier entschiedene Fall ist zwar untypisch, weil gerade noch keine Schwerbehinderung des Arbeitnehmers festgestellt war. Um aber nicht in die Vermutungsregel des § 22 AGG zu fallen, sollten Arbeitgeber vor Ausspruch einer Kündigung gegenüber einem schwerbehinderten Menschen immer das Integrationsamt beteiligen. Allerdings sollten Unternehmen hier auch nicht zu offensiv agieren. Denn der vorschnelle Reflex auf Beantragung eines Negativattestes bei ersten Anzeichen für eine Schwerbehinderung kann einen Schadensersatzanspruch des betroffenen Arbeitnehmers nach Art. 82 DS-GVO begründen.

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