Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 23. April 2024 (Az. II ZR 99/22) einen spannenden Fall zum rückwirkenden Verfall der Karenzentschädigung bei einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot eines GmbH-Geschäftsführers entschieden. Danach entfällt der Anspruch auf die Karenzentschädigung rückwirkend, wenn ein GmbH-Geschäftsführer gegen das nachvertragliche Wettbewerbsverbot verstößt.
1. SACHVERHALT
Die Parteien streiten im Rahmen der Widerklage des Beklagten noch über die Zahlung einer Karenzentschädigung. Der Beklagte war Geschäftsführer der klagenden GmbH und unterlag einem zweijährigen nachvertraglichen Wettbewerbsverbot gegen Zahlung einer Karenzentschädigung. Im Anstellungsvertrag vereinbarten die Parteien außerdem den Wegfall der Karenzentschädigung ex tunc (von Anfang an) für den Fall, dass der Beklagte (Geschäftsführer) gegen das Wettbewerbsverbot verstoße. Für den Fall eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsverbot sah die Vereinbarung außerdem vor, dass der Beklagte die bereits gezahlte Karenzentschädigung an die Klägerin (ehemalige Arbeitgeberin) zurückzuzahlen habe.
Die Klägerin rief mit Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 31. Mai 2012 den Beklagten als Geschäftsführer ab. Zeitgleich widersprachen die Gesellschafter der Klägerin einer Fortsetzung des Anstellungsverhältnisses mit dem Beklagten und erklärten vorsorglich dessen ordentliche Kündigung. Die Klägerin leistete die seit dem 31. Mai 2012 monatlich fällig werdenden Entschädigungszahlungen nicht. Ab dem 17. Juni 2013 war der Beklagte als Geschäftsführer für ein Konkurrenzunternehmen im Sinne der Verbotsklausel tätig.
Das Landgericht Berlin hatte die Widerklage vollständig abgewiesen. Auf die Berufung des Beklagten hat das Kammergericht der Widerklage teilweise stattgegeben. Hierbei stellte es fest, dass der Beklagte zwar gegen das Wettbewerbsverbot verstoßen habe, der rückwirkende Wegfall der Karenzentschädigung jedoch gegen das Übermaßverbot verstoße. Auf die Revision der Klägerin hin stellte der BGH das landgerichtliche Urteil wieder her und wies die Widerklage des Beklagten vollumfänglich ab.
2. ENTSCHEIDUNG
Nach Auffassung des BGH sei der Anspruch auf die Karenzentschädigung mit dem Verstoß gegen das nachvertragliche Wettbewerbsverbot rückwirkend entfallen. Das streitgegenständliche Wettbewerbsverbot sei wirksam und unterliege keiner Inhaltskontrolle nach § 307 BGB. Denn das Berufungsgericht habe nicht festgestellt, dass es sich bei dem Wettbewerbsverbot um eine Allgemeine Geschäftsbedingung handele. Dem BGH zufolge belaste der rückwirkende Wegfall der Karenzentschädigung den Beklagten nicht unbillig. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH bestehe keine Verpflichtung, dem Geschäftsführer einer GmbH, mit dem ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart werde, eine Karenzentschädigung zu zahlen. Wird dennoch eine solche Karenzentschädigung versprochen, könnten die Parteien deren Höhe frei vereinbaren. Deshalb könne dann auch der rückwirkende Wegfall einer versprochenen Karenzentschädigung wirksam für den Fall vereinbart werden, dass der Geschäftsführer gegen das Wettbewerbsverbot verstoße.
Auch wenn nach Ansicht des Beklagten die Karenzentschädigung als Einkommensersatzleistung ausgestaltet sei, die billigerweise nicht rückwirkend genommen werden dürfe, ergebe sich keine anderweitige Betrachtung. Im vorliegenden Fall stehe einem solchen Verständnis eine vertragliche Regelung entgegen, nach der es der Gesellschaft erlaubt sei, einseitig auf das Wettbewerbsverbot zu verzichten. Nach Ansicht des BGH sei eine geltungserhaltende Reduktion der vertraglichen Bestimmung unzulässig, wonach nur der rückwirkende Wegfall der Karenzentschädigung unwirksam, das Wettbewerbsverbot und die Verpflichtung zur Zahlung der Karenzentschädigung im Übrigen aber wirksam wäre. Im Wege der geltungserhaltenden Reduktion könne nämlich ausschließlich ein die zeitlichen Schranken übersteigendes Wettbewerbsverbot auf das noch zu billigende zeitliche Maß zurückgeführt werden.
Außerdem wäre nach Auffassung des BGH bei Nichtigkeit des rückwirkenden Wegfalls der Karenzentschädigung entsprechend § 139 BGB im Zweifel auch das gesamte nachvertragliche Wettbewerbsverbot hinfällig, da es an der Feststellung fehle, dass die Parteien das Wettbewerbsverbot auch ohne die Verfallsregelung vereinbart hätten. Die Nichtleistung der monatlich fälligen Entschädigungszahlungen führe auch nicht dazu, dass sich die Klägerin nach Treu und Glauben nicht auf den rückwirkenden Wegfall der Karenzentschädigung berufen könne. Anderes könne nur gelten, sofern die Klägerin den Beklagten durch ernsthafte und endgültige Zahlungsverweigerung zur Aufnahme der Konkurrenztätigkeit „herausgefordert“ hätte.
3. FAZIT
Trotz zahlreicher entgegenstehender Stimmen in der Literatur bestätigt der BGH mit dieser Entscheidung seine bisherige Rechtsprechung, nach der bei der Vereinbarung von nachvertraglichen Wettbewerbsverboten für GmbH-Geschäftsführer keine Verpflichtung besteht, die Zahlung einer Karenzentschädigung vorzusehen. Folglich ergibt es auch Sinn, den rückwirkenden Verfall einer – freiwillig vereinbarten – Karenzentschädigung im Falle eines Verstoßes gegen das nachvertragliche Wettbewerbsverbot für wirksam zu erachten. Dies führt zu einer Erweiterung des großen Gestaltungsspielraums bei der Gestaltung nachvertraglicher Wettbewerbsverbote von Geschäftsführern. Sollten Unternehmen künftig Karenzentschädigungen für nachvertragliche Wettbewerbsverbote mit ihren Geschäftsführern regeln, so ist zu empfehlen, eine Regelung zum rückwirkenden Verfall der Karenzentschädigung bei Verstoß gegen das nachvertragliche Wettbewerbsverbot mitaufzunehmen.