Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 06.02.2024 (Az: 4 Sa 390/23) zum Schadensersatz wegen verspäteter Zielvorgabe entschieden. Danach ist eine Zielvorgabe, die erst zu einem derart späten Zeitpunkt innerhalb des maßgeblichen Geschäftsjahres erfolgt, dass sie ihre Anreizfunktion nicht mehr sinnvoll erfüllen kann, so zu behandeln, als sei sie überhaupt nicht erfolgt. Ein derart später Zeitpunkt ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn das Geschäftsjahr bereits zu mehr als drei Vierteln abgelaufen ist.

1. SACHVERHALT

Die Parteien streiten über einen Schadensersatzanspruch wegen verspäteter Zielvorgabe. Der Kläger war bei der Beklagten als Head of Advertising vom 18. Juni 2016 bis zum 30. November 2019 tätig. Er war Mitarbeiter mit Führungsverantwortung. Der Arbeitsvertrag sah ein Jahreszielgehalt von 95.000 € bei 100% Zielerreichung vor. Das Zielgehalt setzte sich aus einem Bruttofixgehalt i.H.v. 66.500 € und einer variablen Vergütung von brutto 28.500 € bei 100% Zielerreichung zusammen. Die Definition der Ziele sollte zunächst zeitnah nach Antritt der Beschäftigung und im Folgenden zu Beginn eines jeden Kalenderjahres durch den Vorgesetzten erfolgen.

Nach einer am 12. März 2019 abgeschlossenen Betriebsvereinbarung über das Vergütungsmodell sollte der jeweilige Mitarbeiter bis zum 1. März des Kalenderjahres eine zuvor mit ihm zu besprechende Zielvorgabe erhalten. Der Kläger kündigte das Arbeitsverhältnis zum 30. November 2019. Sein letzter Arbeitstag war am 21. November 2019. Die Beklagte zahlte ihm für 2019 eine variable Vergütung i.H.v. 15.586 €.

Der Kläger war der Ansicht, die Vorgabe der Unternehmensziele für 2019 sei verspätet, formell unwirksam und ermessensfehlerhaft erfolgt. Ihm stünden für 2019 noch 16.035 € zu. Die Beklagte wäre mindestens aus betrieblicher Übung i.V.m. der Betriebsvereinbarung vom 12. März 2019 verpflichtet gewesen, den Mitarbeitern die Ziele in der tabellarischen Form der MBO-Karte schriftlich jeweils zum 1. März auszuhändigen.

Die Beklagte behauptete, die maßgeblichen Unternehmenskennzahlen seien bereits am 26. März 2019 im Rahmen einer Präsentation, an welcher der Kläger teilgenommen habe, mitgeteilt worden. Am 16. April 2019 seien diese erneut im Heads Meeting, an dem der Kläger ebenfalls teilgenommen habe, mitgeteilt worden. Die vorgegebenen Unternehmensziele seien realistisch und ex ante erreichbar gewesen.

Das Arbeitsgericht Köln hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das LAG Köln die Entscheidung abgeändert und der Klage stattgegeben. Die Revision zum BAG wurde zugelassen.

2. ENTSCHEIDUNG

Nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts habe der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz in der begehrten Höhe wegen nicht rechtzeitig erfolgter Zielvorgabe für das Geschäftsjahr 2019 gem. § 280 Abs. 1, Abs. 3, §§ 283252 BGB i.V.m. § 4 des Arbeitsvertrags iVm. C III Abs. 1 BV.

Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, dem Kläger bis zum 1. März 2019 eine mit ihm zuvor zu besprechende Zielvorgabe zu machen. Ungeachtet der nicht erfolgten vorherigen Besprechung habe die Beklagte eine zeitnahe Zielvorgabe generell nicht getroffen. 

Dem LAG zufolge folgte aus der von der Beklagten vorgebrachten Behauptung, dass dem Kläger die Umsatz- und E-Ziele im Rahmen einer Präsentation am 26. März 2019 sowie im Heads Meeting am 16. April 2019 mitgeteilt worden seien, keine ordnungsgemäße Zielvorgabe nach C III Abs. 1 Satz 1 BV. Allein aus der Mitteilung dieser Ziele sei nämlich nicht erkennbar gewesen, inwiefern diese als Zielvorgabe für die variable Vergütung des Klägers von Relevanz sein sollten. Dem Kläger seien weder eine Gewichtung der Ziele noch ein Zielkorridor vorgegeben worden.

Nach Auffassung des LAG könne der Kläger gem. § 280 Abs. 1, 3 BGB Schadensersatz statt der Leistung verlangen, weil eine einseitige Zielvorgabe durch Zeitablauf unmöglich geworden sei. In gefestigter Rechtsprechung gehe das BAG davon aus, dass eine Zielvereinbarung spätestens nach Ablauf der Zeit, für die ein Arbeitgeber mit einem Arbeitnehmer Ziele zu vereinbaren habe, nicht mehr möglich sei. Bisher habe das BAG allerdings offengelassen, was gelte, wenn der Arbeitgeber zu einer (einseitigen) Zielvorgabe verpflichtet sei, diese aber nicht innerhalb der Zielperiode erfolge und ob die einen Schadensersatzanspruch statt des Erfüllungsanspruchs begründende Unmöglichkeit bereits vor Ablauf der Zielperiode eintreten könne, also bei Abschluss einer Zielvereinbarung etwa erst gegen Ende der Zielperiode oder zu einem Zeitpunkt, zu dem der Zweck der Leistungssteigerung und Motivation aus anderen Gründen nicht mehr erreicht werden könne.

Dem LAG zufolge sei eine in der Zielperiode pflichtwidrig und schuldhaft unterbliebene Zielvorgabe in gleicher Weise zulasten des Arbeitgebers schadensersatzauslösend, wie die pflichtwidrig und schuldhaft nicht abgeschlossene Zielvereinbarung. Wenn eine Zielvorgabe erst zu einem derart späten Zeitpunkt innerhalb des maßgeblichen Geschäftsjahres erfolge, dass sie ihre Anreizfunktion nicht mehr sinnvoll erfüllen könne, sei sie so zu behandeln, als sei sie überhaupt nicht erfolgt. 

Wenn das Geschäftsjahr bereits zu mehr als drei Vierteln abgelaufen sei (laut Ansicht des Arbeitsgerichts Nennung der Zielvorgaben spätestens Herbst 2019), sei ein derart später Zeitpunkt jedenfalls anzunehmen. Eine Anreizfunktion werde auch nicht per se dadurch ausgeschlossen, dass die unterlassene Zielvorgabe unternehmensbezogene Ziele betreffe.

3. FAZIT 

Die Entscheidung des LAG Köln verdeutlicht die Relevanz einer rechtzeitig durchgeführten Zielvorgabe. Das LAG Köln bestimmt zwar nicht ab welchem Zeitpunkt genau, die Anreizfunktion der Zielvorgabe nicht mehr erfüllt werden kann, jedoch handelt es sich um einen Weckruf für Arbeitgeber. Arbeitgebern ist daher zu raten, bei Vereinbarungen variabler Vergütung, welche von Zielvorgaben abhängig sind, diese jährliche Zielvorgabe auch frühzeitig ihren Arbeitnehmern mitzuteilen, um Rechtsstreitigkeiten vorzubeugen. Mit Spannung darf erwartet werden, ob das BAG sich den Ausführungen des LAG Köln anschließen wird.

LAG Köln zum Schadensersatzanspruch wegen verspäteter Zielvorgabe